Andrei Șaguna and ”The Organic Statute” – RESÜMEE
In der vorliegenden Dissertation wird die Persönlichkeit Andrei Şagunas (1809-1873), Metropolit der orthodoxen Rumänen aus Siebenbürgen und Ungarn und Urvater der Rumänisch-Orthodoxen Kirchenverfassung dargestellt. Obwohl ursprünglich das Forschungsvorhaben in erster Linie den Kanonisten und kirchlichen Organisator Andrei Şaguna im Blick hatte, ist schließlich eine Gesamtdarstellung der zwei wichtigen Merkmale seiner Person – Kanonist und „Politiker” – daraus geworden. Der Politiker wurde unter Anführungszeichen gesetzt, weil er sich selbst niemals mit einer politischen Doktrin oder einer bestimmten Partei identifiziert hätte; er hat sich nur als Mönch und Bischof gesehen. Dass er als Kirchenleiter der orthodoxen Rumänen in Siebenbürgen im 19. Jahrhundert auch politische Verantwortung übernehmen musste, ist vor allem eine Konsequenz der Geschichte der Rumänen in Siebenbürgen in der Neuzeit, nicht eine Entscheidung seinerseits. Fallweise wurden insbesondere in den ersten vier Kapiteln auch andere Aspekte aus seiner Tätigkeit als Bischof oder damit in Verbindung stehende Aktivitäten, einbezogen.
In der Analyse der kanonistisch-organisatorischen Werke Andrei Şagunas war zu berücksichtigen, dass seine kirchliche Mission in Siebenbürgen in einer Zeit angefangen hatte, in der sowohl die Rumänisch-orthodoxe Kirche als Körperschaft und auch ihre Gläubigen als Volk seit Jahrhunderten – genauer seit dem Jahre 1514 – staatlich nicht anerkannt, sondern vom öffentlichen Leben der Gesellschaft gesetzlich ausgeschlossen waren. Praktisch hatte seine kirchliche und kanonistisch-organisatorische Tätigkeit in einer Ortskirche begonnen, die de jure nicht existierte, da sie seit etwa 350 Jahren, aufgrund ethnisch-religiöser Kriterien kein korporatives Recht genossen hatte. Auch hat am Ende des 17. und Anfang des 18. Jahrhunderts die politische Macht in Zusammenarbeit mit der staatlichen Konfession (die Römisch Katholische Kirche) primär aufgrund politischer Interessen versucht, die orthodoxe Kirche Siebenbürgens auch de facto zu annullieren, durch die Einführung der kirchlichen Union mit der Kirche von Rom. Obwohl am Ende des 18. Jahrhunderts, der Staat – die Habsburgermonarchie – sich verpflichtet gesehen hatte, die faktische Existenz der Orthodoxie in Siebenbürgen anzuerkennen, wurden in gesetzlicher Hinsicht wenige Maßnahmen unternommen, die aber völlig ungenügend waren, um dieser Kirche minimale Stabilität und Aufschwung in der Zukunft zu garantieren. Aus diesem Grund ließ sich die Forschung über Andrei Şaguna als Kanonist und kirchlichen Organisator nicht trennen von seinem Bemühen um die staatliche Anerkennung und somit die gesetzlichen Grundlagen seiner Kirche zu schaffen.
Als Quellen für die Arbeit dienten: die kanonistischen Werke Andrei Şagunas, aber auch andere von seinen zahlreichen Schriften (historische und pastorale Werke, Korrespondenz, Artikel in Zeitschriften, politische Reden, Zirkulare), Archivalien, Monografien und Artikel über Andrei Şaguna sowie theologische, historische und kulturelle Zeitschriften, Gesetzes- und Kanonessammlungen, juristische, kanonistiche und historische Fachbücher, Kompendien, Enzyklopädien, Wörterbücher.
Ziel der Arbeit ist die Analyse in einer neuen, aktuellen Perspektive, der kanonistichen Werke und der kirchlichen organisatorischen Tätigkeit Andrei Şagunas in einem engen Zusammenhang mit seinen Bemühungen, den gesetzlichen Zustand seiner Kirche und seines Volkes in der Monarchie zu verbessern.
Der erforschte Zeitraum umfasst grundsätzlich die Lebenszeit Andrei Şagunas (1809–1873). Die Zeit aber, in der er Kirchenleiter der orthodoxen Rumänen in Siebenbürgen war (1846–1873) findet besondere Beachtung. Der Hintergrund der Forschung ist jedoch schon viel früher anzusetzen, nämlich am Anfang des 16. Jahrhunderts. Das ist die Periode, in der die ethnisch-konfessionalisierte Gesellschaft in Transsylvanien ihren rechtlichen Rahmen zu konstituieren begonnen hatte. Die Rumänen haben aber weder ethnisch (als Nation) noch auch religiös (als Orthodoxe) ihren Platz bekommen. Zudem unternimmt die Arbeit den Versuch, die Rezeption von Andrei Şagunas kanonistischem Werk und seiner kirchlichen Organisation zu beleuchten. Die Rezeption, die Entwicklung und die Perspektiven seiner Arbeiten bis in die Gegenwart werden skizziert.
Die Dissertation ist in acht Kapitel eingeteilt, die grundsätzlich zu den zwei wissenschaftlichen Fächern, nämlich dem Religionsrecht und dem orthodoxen Kirchenrecht gehören.
Im ersten Kapitel werden sowohl die rechtliche als auch die kirchliche Problematik der Rumänen in Siebenbürgen im 19. Jahrhundert durch einen historischen Exkurs beleuchtet. Als einen sekundären, aber dennoch wichtigen Punkt der Forschung könnte in diesem Kapitel die Beschreibung der staatlichen Struktur und der religiösen Rechte im Fürstentum Siebenbürgen in der frühen Neuzeit erwähnt werden. Besonders beachtenswert ist das System der konfessionellen Toleranz – das erste dieser Art in Europa –, das in Siebenbürgen im Jahre 1571 endgültig eingeführt wurde. Obwohl diese Toleranz keinesfalls perfekt war, denn sogar die orthodoxen Rumänen, die keine Vertretung in den Ständen des Landes mehr hatten, wurden nicht offiziell anerkannt, so bleibt trotzdem Siebenbürgen „Pionierregion der Religionsfreiheit“ in Europa.
Das zweite, dritte und vierte Kapitel folgen chronologisch dem Lebenslauf von Andrei Şaguna. Sie stellen – mit Hilfe der primären Bibliographie (Dokumente des 19. Jahrhunderts und Şagunas Schriften) – das Leben, die kirchliche und die politische Tätigkeit Andrei Şagunas, mit besonderer Rücksicht auf einige zu wenig bekannte, aber relevante Episoden seiner persönlichen Geschichte dar. Diese Kapitel sind dem Fach Religionsrecht zuzuordnen, wobei primär die deskriptive Methode zur Anwendung kommt.
Auf der Grundlage der Dokumente der Epoche und der Hinzuziehung der Forschungsergebnisse des Historikers Keith Hitchins werden die Gründe der politischen Aktivitäten des orthodoxen Bischofs und späteren Metropoliten von Transsylvanien deutlich gemacht. Einerseits gab es einen objektiven Grund für seine politischen Aufträge: die ,,Tradition“ in der Österreichischen Monarchie, schon im 18. Jahrhundert entwickelt, dass die kirchlichen Oberhäupter der siebenbürgischen Rumänen (sowohl griechisch-katholisch als auch orthodox) gleichzeitig soziale und politische Verantwortung übernehmen mussten. Das war vom Wienerischen Hof verlangt, weil gerade in der Abwesenheit irgendeiner politischen Vertretung für die Rumänen, überhaupt in den Fällen sozialer Unruhe und Revolten ein Gesprächspartner notwendig war. So wurden die Bischöfe als solche Gesprächspartner behandelt. Andererseits gab es aber auch einen subjektiven, bewussten Grund für sein Tätigwerden in politischen Angelegenheiten. Näherhin verlangten sowohl die Notwendigkeit einer gesetzlichen Anerkennung und Verankerung der Orthodoxen Kirche Transsylvaniens als auch die Reaktivierung des alten orthodoxen Metropolitansitzes, der durch die kirchliche Union vom Jahre 1700 ,,begraben“ worden war, Şagunas politischen Einsatz. Hierzu kam auch das tatsächliche Verständnis von Andrei Şaguna hinsichtlich der Aufgabe eines Bischofs, der kirchlichen Mission in der Welt.
Wesentliche Prinzipien für eine Beteiligung von Metropolit Andrei an der Politik waren: der Patriotismus, nicht der Nationalismus, die Trennung von Religion und Politik sowie die Loyalität zum Hause Habsburg bzw. zur Monarchie.
Die wichtigsten Punkte der Kapitel zwei, drei und vier und damit des ersten großen Teils der Dissertation sind zunächst der biographische Werdegang Andrei Şagunas, sodann die Darstellung der Schritte zur Verbesserung des gesetzlichen Zustands der orthodoxen Rumänen in Transsylvanien sowie der gesetzlichen Anerkennung der reaktivierten orthodoxen Metropolie, weiters die Hervorhebung des subjektiven Grundes für Andrei Şagunas politische Bemühungen, um die gesetzliche Anerkennung und Organisierung der orthodoxen Kirche Transsylvaniens. Hierbei ist zu betonen, dass die politischen Aktivitäten seinen bischöflichen Aufgaben und seiner wissenschaftlichen Tätigkeit als Kanonist wie auch seinem Wirken als kirchlicher Organisator nachgeordnet waren.
Parallel mit diesen Punkten, aber nicht weniger wichtig, für die Kenntnis des religiös-juristischen Klimas im Siebenbürgen des 19. Jahrhunderts wird die Biographie des Metropoliten auf einige weniger bekannte, aber relevante Episoden hin betrachtet. In den Blick gerückt werden näherhin die Konversion seines orthodoxen Vaters zum Katholizismus und damit die komplexen religiös-juristischen Konsequenzen für die schon orthodox getauften Kinder, aber auch für die orthodoxe Mutter, des weiteren die Prozesse zwischen der Mutter – Anastasia Şaguna – und den kirchlichen und staatlichen Behörden um das Recht, die eigenen Kinder erziehen zu dürfen sowie schließlich die gesetzlich gebremste Reversion der volljährigen Kinder zur Orthodoxie.
Zu diesem Teil der Arbeit gehören die pazifistische Einstellung des Bischofs Andrei Şaguna, das Überwinden des interkonfessionellen „Kriegs“ neben ständigen Schritten und Bemühungen, eine Mindeständerung des gesetzlichen Rahmens zu erreichen hinsichtlich der Multikonfessionalität und der Vielzahl der Völker in Transsylvanien einschließlich einer staatlichen Anerkennung aller Konfessionen und Völker.
Bei diesen Anliegen sind die juristische Argumentation, die Begründung der religiösen Rechte der orthodoxen Rumänen in Siebenbürgen auf natürlichem Recht, auf göttlichem Recht und nicht zuletzt auf der Idee des Rechtsstaates durch zahlreiche Zitate hervorgehoben worden, um die juristischen Fähigkeiten Andrei Şagunas (der eigentlich in erster Linie Jura und Philosophie, dann Theologie studierte), die in den bisherigen Forschungsarbeiten zu wenig Beachtung fanden, zu unterstreichen.
Das fünfte, sechste und siebte Kapitel beschäftigt sich jeweils mit den kanonistischen Werken Andrei Şagunas, mit seiner kirchlich-organisatorischen Tätigkeit und der siebenbürgischen rumänisch-orthodoxen Kirchenverfassung („Das Organische Statut“) sowie mit der Rezeption und Entwicklung seiner kirchlichen Organisation im 19. und 20. Jahrhundert. Diese Kapitel sind dem Kirchenrecht zuzuordnen, wobei die induktive Methode zur systematischen Darstellung des Kanonisten Andrei Şaguna dient.
Der zweite Teil der Dissertation umfasst neben einer möglichst systematisierten Darstellung und Analyse der kanonistischen Werke, der kanonistischen Denkweise und Doktrin von Andrei Şaguna auch die Enthüllung einiger wenig bekannter oder sogar noch unbekannter Seiten seiner kanonistischen Werke und organisatorischen Tätigkeit. In diesem Sinne wurde die Ausarbeitung einerseits in den breiten politisch-kirchlichen Kontext des 19. Jahrhunderts, andererseits in den Kontext des orthodoxen Kirchenrechts und der Tradition, aber auch der westlichen Kirchenrechtswissenschaft gestellt, um den Kanonisten Andrei Şaguna für die Gegenwart leichter verständlich und zugänglich zu machen. So konnten mindestens zwei wichtige Themen der katholischen und der protestantischen Kirchenrechtswissenschaft im 19. Jahrhundert, auch von einer orthodoxen Perspektive vorgestellt werden, nämlich die theologischen Grundlagen des Kirchenrechts und das Verhältnis der Kirche zum Staat bei Andrei Şaguna.
Ein besonderer Platz ist der orthodoxen Ekklesiologie, so wie sie in den Werken Andrei Şagunas reflektiert ist, gewidmet. Die Treue zum orthodoxen ekklesiologischen Prinzip der Pentarchie – das im ersten Jahrtausend des Christentums bis zum Schisma von 1054 ein gemeinsames kanonisches Prinzip für die östliche und die westliche Kirche war, und das, einerseits der Stolperstein des Dialoges zwischen der katholischen und der orthodoxen Kirchen bis heute ist, andererseits sogar seit dem 19. Jahrhundert, durch die Einrichtung mehrerer autokephaler Patriarchate, von den Orthodoxen selbst nicht genug beachtet worden ist – sowie die genaue Annahme der klassischen orthodoxen Kanones durch Andrei Şaguna, die aber traditionell und gleichzeitig dynamisch von ihm interpretiert wurden, sind vielleicht zum ersten Mal mit umfangreichen Querverweisen und Zitaten aus seinen Werken offenkundig vorgelegt worden.
Nach der Klärung des Synodalprinzips – als Merkmal der Orthodoxie – insgesamt und besonders des Prinzips des kirchlichen Konstitutionalismus oder der Beteiligung der Laien an der Kirchenleitung bzw. Kirchenverwaltung durch die gemischten Synoden (d. h. kirchlich beratende Körperschaften aus Klerus und Laien), sind sowohl die Kritiker, Şagunas und seiner kirchlich-organisatorischen Arbeit, als auch die Entwicklung seiner Kirchenverfassung bis zum Ende des 20. Jahrhunderts dargestellt. Was heute für die orthodoxe wie für die katholische Kirche selbstverständlich ist, wurde bei seiner Wiedereinführung ins Kirchenleben der siebenbürgerischen orthodoxen Metropolie, und fast ein Jahrhundert später, bis zum Zweiten Vatikanischen Konzil (1962-1965), als eine „protestantische Innovation“ von Andrei Şaguna in die orthodoxe Kirche eingeführt, klassifiziert.
Die Verwendung von zwei wesentlichen kanonistischen Werken Andrei Şagunas – das „Kompendium“ und der polemische „Anthorismos” – hat Priorität im zweiten Teil der Arbeit. Wenn der Kirchenverfassungsentwurf von Andrei Şaguna – „Proiectu de unu Regulamentu“ („Entwurf einer Regel“) – und die siebenbürgerische orthodoxe Kirchenverfassung – „Statutul Organic“ („Das Organische Statut“) – in einigen Studien vom 20. Jahrhundert mindestens in Erinnerung gebracht worden sind, so wurden die oben genannten wichtigen kanonistischen Werke in der wissenschaftlichen Forschung des 20. Jahrhunderts sowohl in Rumänien als auch im Ausland fast vergessen bzw. kaum erwähnt; Werke, die sonst von größter Bedeutung für das Verständnis des Gesamtbildes des Kanonisten Andrei Şaguna sind.
Das achte Kapitel umfasst die Endergebnisse und Perspektiven der beiden großen Teile der Dissertation. Außer der Wiederherstellung des kirchlichen Konstitutionalismus – der Teilnahme der Laien an der Leitung der Kirche –, die „revolutionär“ im 19. Jahrhundert war, hat der Jurist und Kanonist Andrei Şaguna durch seine Denkweise, seine Werke und Taten dem gegenwärtigen Religionsrecht und dem Kirchenrecht, den Juristen und den Kanonisten, der Orthodoxie wie auch der anderen Konfessionen noch viel anzubieten.
February 24, 2017 Drept si Religie